Meine Erfahrungen

Von der Kunst des Lobpreises

Lobpreis, sagte der Theologe Edmund Schlink (Ökumenische Dogmatik), ist eine Sprachform des Glaubens, in der das "Ich" des Beters zurücktritt hinter den, den es anbetet: Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, der auf eine geheimnisvolle Weise eins ist mit dem Vater (Johannes 10,30). Das ist die Absicht des Christus-Rosenkranzes: Nicht ich, sondern er steht jetzt im Mittelpunkt. Ich stehe vor ihm, bin ganz auf ihn fokussiert, weil er ist, der er ist: Der Erlöser der Welt. Es geht um ihn, um das, was er für diese Welt getan hat, heute tut und noch tun wird. Dieses hingebungsvolle Beten um seinetwillen empfinde ich merkwürdigerweise nicht als Zurücksetzung, sondern als Befreiung - Befreiung aus meiner zu klein gewordenen Ich-Welt. Sie gelingt nicht einfach von selbst, sondern das bedarf einer gewissen Übung. Ignatius von Loyola verstand die Praxis des Glaubens als "geistliche Übungen". Und wir, die Übenden, brauchen die nötige Zeit und auch manches Hindurchgehen durch Erfolge und Misserfolge - das gehört dazu.


Die Wirkung des Christus-Rosenkranzes

Ich möchte darum jetzt nicht in die Falle tappen, von der Wirkung des Christus-Rosenkranzes so zu schreiben, als ob es darum geht, diese Wirkung zu erzeugen. Wenn ich ihn mit einer solchen Absicht bete und mich dabei selber beobachte, wie ich mich gerade fühle, geht das Gebet schief. Denn das ist gegen seine zentrale Absicht: Es geht nicht um mich, sondern um Ihn, Christus. Aber ich möchte auch nicht verschweigen, was für tiefe, unbeschreibliche Friedens- und Glücksmomente ich mit diesem Gebet erlebt habe - nämlich dann, wenn ich mich auf seine Absicht tatsächlich einlasse und mich von mir weg- und zu Jesus Christus persönlich hinführen lasse. Das Gedankenrasen kommt zur Ruhe. Er ist jetzt da - und ich vor ihm. 

"Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen..." (Römer 8,26)

Kennst Du das: 

  • du möchtest beten und weißt nicht, was
  • du kannst dich nur schwer konzentrieren, weil du voller Unruhe bist
  • laute Gedanken stören dein Beten; du stellst fest, dass du schnell abschweifst und dich in ihnen "verhedderst"
  • du merkst, wie du immer auf dieselben Floskeln kommst und du die ganze Zeit um dich selber kreist

Ich kenne alle diese Situationen aus meinem eigenen Gebetsleben sehr gut. So gerne ich mit eigenen Worten bete und die Freiheit genieße, Gott mein Herz förmlich auszuschütten - irgendwie stoße ich immer wieder an Grenzen. Und zwar an die verborgenen Grenzen meiner eigenen kleinen Individualität, deren Gefangene wir postmodernen Gigantomanen schneller werden können als uns lieb ist. Ich erlebe das Gebet als den Ort, an dem dies irgendwann unweigerlich zum Ausdruck kommt. Mein Gebet bleibt bezogen auf mich selbst und mein Erleben meiner Wirklichkeit. Ich bete zu Christus um meinetwillen oder um derer willen, die ich sehe und wahrnehme. Aber zum dreieinigen Gott beten - um seinetwillen? 

Genau darin ist mir der Christus-Rosenkranz eine große Hilfe:

Von Widerständen und der Übung, loszulassen

In fast jedem Rosenkranzgebet erlebe ich einen Moment des Widerstandes. Eine plötzliche Unruhe, eine Reaktion meines Körpers wie ein Unwohlsein, ein plötzliches Herausgeworfensein aus dem Gebet, ein Gedanke: "Was machst du hier gerade überhaupt?" Wie ein Aufbegehren der Seele gegen die ungewohnte Zurücksetzung. Ich begrüße den Widerstand inzwischen freundlich, wenn er kommt. Er stellt sich ein, und wenn ich ihn bemerkt habe, geht er wieder. Wichtig ist, sich in diesen kleinen Krisenmomenten nicht "herausbringen" zu lassen. Die Rhythmik der Satzmelodie und die Materialität der Rosenkranzkette sind da eine große Hilfe.

Meist ist dieser Widerstandsmoment eine Durchgangsstation auf dem Weg dieses Gebetes, hin zu etwas, was ich nur als Geschenk des Heiligen Geistes beschreiben kann. Diese Erfahrung ist nämlich unverfügbar - mal geschieht sie, mal geschieht sie nicht. Sie ist kaum zu beschreiben. Ich glaube, am besten trifft es die Situation aus der biblischen Geschichte, wie Maria, die Schwester von Martha, zu Füßen Jesu saß - einfach bei ihm, glückselig, alles andere war plötzlich völlig unwichtig (Lukas 10,38-42). Ungefähr so. Man muss es erlebt haben. In Worte fassen kann ich es nicht - es gibt Glücksmomente, für die gibt es keine Worte mehr.

Aber beschreiben kann ich etwas sehr Entscheidendes auf dem Weg dorthin: Den Moment des Loslassens. All das Verkrampfte, sich Konzentrierende, Selbstbeobachtende loszulassen und sich ganz in den Fluss des Gebetes hineinzugeben. Jetzt bete nicht ich, sondern "es" betet mit mir. Über dieser Übung des "Loslassens" ist der Christus-Rosenkranz auf eine hintergründige Weise eng verwandt mit dem Zungengebet, der sog. "Glossolalie", das z.B. in der Charismatischen Bewegung gepflegt wird (und das scheinbar von dem genau entgegengesetzten Umgang mit der "Form" herkommt). Auch im Zungengebet spielt der Moment des Loslassens eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer wirklichen Gotteserfahrung. Das zeigt mir, dass wir es hier nicht mit "etwas", sondern mit "jemandem" zu tun haben - mit dem Heiligen Geist, der dritten Person in der Dreieinigkeit Gottes, der "Herr ist und lebendig macht", wie es im Nicänischen Glaubensbekenntnis heißt. Durch ihn berührt uns Christus. Beim Beten geht es darum, ihm das zu gestatten, es ihm im Vertrauen zu erlauben.

Und weil das Wichtigste nicht in unserer Hand liegt, nochmal: Die Erfahrung einer Gottesbegegnung ist sein Geschenk. Wir können es nicht "machen". Aber wir können und dürfen uns auf den Weg machen - heraus aus dem Gefängnis unserer eigenen Individualität und hin zu ihm, dem lebendigen Gott selbst. "Klopfet an, so wird euch aufgetan" (Matthäus 7,7). Möge der Christus-Rosenkranz hierfür einen Dienst tun!